Diese und die folgenden Anekdoten trugen sich 2010 in Sana’a, Jemen zu während eines Pilotprojektes, an den Schulleiterinnen und Schulleiter, Psychologen und Ärzte teilnahmen.

Leila: „Siehst du denn nicht…?

Eine klassisch in schwarzem Tschador gekleidete Teilnehmerin fragte Ina herausfordernd: „Siehst du denn nicht?“ Ina konzentrierte sich auf die funkelnden Augen, um herauszufinden, welche Teilnehmerin sie ansprach, denn leider wurde die Stimme durch den Hijab verzerrt. „Nein, Leila, ich kann nichts erkennen. Hast du neue Handschuhe“? antwortete Ina leicht verunsichert. „Aber sieh doch nur“, drängte Leila.“Hm“, zögerte Ina. Sie hatte das Gefühl, dass Leila ihr etwas ganz Wichtiges zeigen wollte – etwas Persönliches . Doch sie war ahnungslos.

Leila schaute sie vorsichtig um, ob auch keiner sie sah und schob schließlich das Tuch etwas zur Seite so, dass einige Haarsträhnen hervorlugten. „Siehst du jetzt“, fragte sie fast triumphierend. „Ja,“ antwortete Ina. „Du hast wunderschöne Haare.“ Nie zuvor hatte sie Leilas Haare gesehen. „Siehst du denn nicht, dass ich meine Haare gefärbt habe. Sie sehen jetzt aus wie deine.“ Leila drehte ihren Kopf hin und her. Der Hijab verrutschte noch weiter und offenbarte Leilas ganze Haarpracht.

Auf einmal wurden Ina und Leila noch von Amira und Fatima umringt. Ein aufgeregtes Getuschle entstand und fröhliches, ja stolzes Gelächter brach aus.

„Ja, schau und was ich gemacht habe. Ich habe mich geschminkt wie du,“ kam es von Amira. Und wieder lachten alle und redeten so schnell arabisch, dass Ina passen musste und sich den Übersetzer herbei sehnte. Doch der war ein Mann, also unmöglich. Inzwischen waren noch mehr Frauen versammelt.

Ina liebte diese Situationen. Sie kam absichtlich morgens viel früher vor dem Tagungsbeginn, weil sie auf diese Weise etwas vom Leben jemenitischer Frauen mitbekam, was während der offiziellen Seminararbeit kaum möglich war. Dies hatte sich offenbar bei den Teilnehmerinnen herumgesprochen; denn immer mehr von ihnen kamen auch früher, um mit Ina Persönliches auszutauschen. Erst gestern hatte sie Amnah angesprochen. Eine besonders zurückhaltende Frau, um ihr verschämt Fotos von sich zu zeigen, die sie bei einem Fotografen für ihre Hochzeit hatte machen lassen. Ina war überwältigt von dem Vertrauen einerseits. Andererseits von der fast provozierend zur Schau gestellten Schönheit dieser Frau.. Wer wird diese Fotos sehen dürfen?

Während Ina noch darüber nachsann, ertönte ein fast übermütiger Ruf: die Männer!

Blitzschnell zogen alle ihre Hijabs herab und setzten sich auf ihre Plätze. Auch der Übersetzer kam mit den Männern herein. Das Seminar begann.

Dieses Seminar – eine Fortbildung – war für alle Beteiligten in jeder Hinsicht ein Pilotprojekt. Einmal was die Thematik anbelangte: Therapie/Gesprächspsychotherapie/Kunsttherapie und zum anderen was die Teilnehmer betraf; denn es war eine Gruppe von Frauen und Männern, die meisten SchulleiterInnen von großen Schulen für gehandicapte Schüler, sowie einige Psychologen und Ärzte. Sie kamen aus dem ganzen Jemen hier nach Sanaá für mehrere Wochen in Intervallen. Als das größte Problem stellte sich heraus, einen Übersetzer zu finden – Englisch/Arabisch -der über pädagogische, psychologische und soziale Fachbegriffe verfügte; die kunsttheoretischen ließen sich notfalls demonstrieren.

Den Tagesrhythmus legten sie gemeinsam fest, um die Zeiten zum Gebet einzuhalten.

Ina tauchte in das muslimisch geprägte, traditionsreiche Leben der Frauen und Männer ein, das an der Schwelle des 21.Jahrhunderts stand, zugleich im Umbruch wie es sich zeigte, in den teils verschämten privaten Gesprächen bei Frauen wie bei den Männern.

Gegenseitiger Respekt, der zum notwendigen Vertrauen führte, bereicherte das gemeinsame Arbeiten und schenkte allen Erfolg.