Eines meiner bewegendsten Erlebnisse hatte ich in einer Tempelanlage auf einem Säulenstumpf abseits von Menschen, allein.

Was heißt „bewegend?“ Äußerlich bewegte ich mich nicht.

Die Anderen waren zur Besichtigung losgezogen.
Ich saß ganz still, benommen von der mich umfassenden Ruhe. Ein tiefes Glücksgefühl durchströmte mich. Ich fühlte mich Eins mit der Fremdheit, der Schönheit, der Gelassenheit des Ortes. Alle Sehnsüchte, aber auch Ärgernisse, Mühen und Bedürfnisse waren aufgehoben in wunschloser Existenz, in absoluter Erfüllung des Sinns.

So muss sich Ewigkeit anfühlen.
„Das Hier und Jetzt ist Ewigkeit, das heißt Zeitlosigkeit; Ewigkeit ist nicht, wie oft fälschlich angenommen wird, die ins Unendliche verlängerte Zeit.“ (E. Fromm, Haben oder Sein)

War ich ans Ziel meiner Reise angekommen?
Was war das überhaupt für ein Ziel? Die Tempel in Burma besichtigen? Erleben wie Frömmigkeit den Alltag der Menschen bestimmt? Also, eine Bildungsreise? Eine Entdeckungsreise konnte es nicht sein – es sei denn, eine Reise zu sich selbst und dem Wunsch, eine neue Erzählung mit sich selbst anzufangen.
Ich versank in eine tiefe Melancholie, nicht Trauer oder gar Depression, sondern in eine Nachdenklichkeit über die Frage nach dem Sinn – dieser Reise. Es ging mir nicht um das Sammeln exotischer Eindrücke, sondern um das Sich-berühren-lassen, sich verändern durch das Relativieren des eigenen Gesichtspunktes und wahrnehmen wie Gefühl und Verstand auseinanderklaffen. Ein Gefühl, angerührt von Anmut und Stimmigkeit der Bewegungen der Menschen, der Schönheit der Natur, der unglaublichen Kunstfertigkeit von Skulpturen, Harmonie der Tempel. Der Verstand, der die oftmals bedrückenden Lebensbedingungen der Bettler, der verwahrlosten Kindern durchaus registrierte.

Ich wurde ganz still. Die Geschäftigkeit lärmte außerhalb des Tempels. War ich Betrachter oder ließ ich mich in das Geschehen einbeziehen? Müsste ich nicht Stellung beziehen? Aber wie könnte ich das, ohne dabei doch von meinen Lebensbedingungen als Bezugspunkt auszugehen? Mir fehlte das Gespräch, um besser zu verstehen.

Hat man den Mut, sich auf das Fremde einzulassen, riskiert man Veränderung – als Irritation oder als Bereicherung.
Auf einmal war „meine“ Stille gar nicht mehr still.

Oder bedeutete Reisen für mich die Suche nach Eins-sein, nach Stimmigkeit, nach Schönheit?
Das Eins-werden mit dem Dao?

Wie finden Gefühle und Verstand dann zu einander, wenn die Diskrepanzen der Wahrnehmung so sehr auseinanderklafften, das Überwältigende von Schönheit und das bitterste Elend?
Oder geht das Eine nicht ohne das Andere, das Schöne nicht ohne das Hässliche?

Wie, wenn beides zusammengehört, ich jedoch in meinen „Ferien“ nur die schönen Seiten des Fremden wahrnehmen will?

Nein, meine kontemplative Stille war überhaupt nicht mehr still.

Rajasthan – eine meditative Melodie

In unbarmherziger Mittagshitze schleppte ich mich zu der gewaltigen Tempelanlage hinauf.
Alle vernünftigen Lebewesen hatten sich in den Schatten verkrochen.
Das Ziel, der riesige Tempel, lockte mich aber im Moment weniger mit Skulpturen und Säulenpracht, als mit den schattenspendenden, luftigen Hallen.
Doch bis dahin….reflektierten die roten Sandsteinstufen und -mauern die aufgespeicherte Hitze gnadenlos.
Ich hatte das Gefühl, wenn ich stehen bleibe, klebe ich fest, wie damals im Sommer auf dem Autoput durch Jugoslawien die Autoreifen im aufgeweichten Teer.
Also weiter. Das war wie eine Bußprozession bevor man den Gipfel, die Erlösung erreichte.
In manchen Ländern trägt man Schirme, auch die Verhüllung erhält so einen ganz plausiblen Grund. Der Schweiß rann in Strömen über mein Gesicht.

Und dann war es geschafft. Ich suchte nicht lange wie sonst nach dem schönsten Aussichtsplatz, sondern ließ mich aufatmend an der erst besten Säulen nieder. Ein sanfter Windhauch schenkte Kühlung, die Säulenhalle Schatten.
So saß ich eine ganze Weile, versuchte wieder zu mir zu kommen, bevor ich mich umsah und staunte und staunte über die Pracht, die Schönheit, den Formenreichtum, die harmonischen Proportionen. Ich stand nicht auf, sondern sog alles in mich auf, ohne mich zu rühren, ohne die Kamera zu zücken, ohne das Skizzenbuch hervorzukramen.
Auf einmal wurde mir bewusst, dass ich ganz allein war, kein Menschengedränge, weder Schwatzen, noch Rufen oder Lachen. Stille, Mittagsstille.
Ganz klein drückte ich mich an die Säule, ich wollte diese Atmosphäre nicht stören. Sie lud ein zur Meditation. Sie hatte etwas Sakrales.
Beschämt wurde mir bewusst, dass ich mich ja an einem heiligen Ort befand, den wir touristisch nur zu oft durch unsere Trophäenjagd entweihen. Jetzt, da sich die Eroberer in die Restaurants zurückgezogen hatten, gehörte der Tempel wieder seiner Bestimmung.

Während ich in Gedanken versunken inne hielt, hörte ich auf einmal eine Melodie. Ich weiß nicht woher sie kam. Sie klang recht fremd. Eine Bansuri? Eine Krishna Flöte? Diese heiser klingenden Querflöten aus Bambus. Jemand spielte wie vor sich hin sinnend – Tempelmusik für Gott Krishna.
Eine unendlich melancholische Melodie, meditativ und entspannend zugleich.
Für einen Wimpernschlag war die Welt heil.

Meine Seele wurde ganz weit.